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5. Februar 2020
Interview Münchner Wochenanzeiger
8. Juni 2020

five talks-Interview mit Michael Simon, Geschäftsführender Gesellschafter Wochenanzeiger Medien GmbH

Quo vaids – Anzeigenblattverlage?

 

five talks: Welches Schwerpunktthema hätten Sie gerne auf der nun abgesagten BVDA Frühjahrstagung angesprochen und ist für Sie nach wie vor ungelöst?
Michael Simon: Ich hätte gerne meinen kleinen Vortrag dort unter das Motto „Courage“ gestellt, beschreibt doch dieses wunderschöne Wort sehr präzise, was heute nötiger ist denn je:

„Cor“ und „agere“ – mit Herz(blut) tätig sein …

Schon seit geraumer Zeit haben zunehmend die Excel-Fetischisten den Ton in vielen Häusern vorgegeben. So kann man nicht kochen, geschweige denn publizistisch tätig sein. Bei aller wirtschaftlichen Bedrängnis und ja, die Ergebnisse sind in den einzelnen Häusern wohl wirklich in den vergangenen Jahren zunehmend schlechter geworden, kann die Antwort nicht immer nur „lean management“ sein. Ohne inhaltliche, redaktionelle Qualität – und die gibt es durchaus noch in so einigen Anzeigenblatt-Verlagen – entsteht keine publizistische Relevanz. In einer Zeit, in der es quasi schon ein Überangebot an Informationen gibt, gibt es bei genauerer Betrachtung nur einen Grund, ein Anzeigenblatt aus dem Briefkasten mit auf den Küchentisch zu nehmen: Nämlich handwerklich solide, journalistisch sauber hergestellte Inhalte aus der direkten Umgebung, die beim sog. normalen Bürger von Interesse sind, und die es oft eben auch nur da zu finden gibt. Nur dann sind wir wirklich von Bedeutung auch für unsere Kunden, die eben ihre Werbebotschaft auch genau da platziert haben wollen – inmitten des Haushalts. Immer weniger Platz für derartige Redaktion, immer weniger gut ausgebildete KollegInnen in den Redaktionen sind im Grunde ein Abgesang auf Raten.

Die in der vermeintlichen Not oft eingesetzten Unternehmensberater vergessen bei ihrem Job in den Verlagen oft allzu schnell, dass man Konzepte aus anderen Branchen nur bedingt auf die unsere übertragen kann. Wir sind eben keine Schrauben- oder Matratzen-Fabrik. Unser ganzes Kapital sind engagierte Menschen vor Ort. Deren Arbeit und Leistung können sie weder ins vermeintlich billigere Ausland verlagern noch ohne Auswirkung durch KI (künstliche, und damit eben keine Intelligenz) ersetzen. Wie auch soll uns jemand, der keine Überschrift formulieren kann und nichts von LeserInnen versteht, geschweige denn vom Werbemarkt (des) Handels, den Weg aus der augenscheinlichen Krise zeigen? Wir laufen leider des öfteren den falschen Lotsen nach. Und dass (lokale) Inhalte wichtig sind, zeigt sich gerade in der aktuellen Corona-Krise. Sind das doch die Gründe, dass wir – noch – als systemrelevant eingestuft werden.

Jetzt die Frage der Wahrheit: Wie sind Sie/Anzeigenblatt-Verlage hinsichtlich der digitalen Transformation – nicht nur im Zeichen der Coronavirus-Krise – aufgestellt?
Simon: Eigentlich kann ich mit dem Terminus „Transformation“ fast nichts mehr anfangen. Er erscheint mir mehr und mehr wie ein benutztes Taschentuch; eigentlich will das, gerade jetzt, keiner mehr anlangen. Ich glaube, das hatte vorab schon immer vor allem zwei Gründe:

Erstens, eines unserer Essentials waren immer zwei Faktoren: Wir waren – unbestellt – im Briefkasten und haben genau deshalb als sog. „Push-Medium“ funktioniert. Erinnern Sie sich noch an die Zeiten, als kein Publikumstitel ein Abverkaufsmedium sein wollte. Damals waren alle „Image-Bildner“. Mit dem Einsetzen der Schwierigkeiten in der Print-Branche mutierte allesamt plötzlich zum „Abverkaufsmedium“ – vorbei war‘s mit der Eitelkeit. Manchmal schmecken halt auch Pellkartoffeln, wenn der Kaviar aus ist.

Der zweite Grund liegt in dem Umstand begründet, dass wir Verlage (Anzeigenblätter und Tageszeitungen) dem GAFA-Konstrukt (Google, Amazon, Facebook und Apple) nahezu schutzlos ausgeliefert waren und noch immer sind. Wir sind 1000 Regeln unterworfen, während die Krokodile ohne irgendeine Beschränkung in unseren Gewässern unsere Nahrung verschlangen und weiter verschlingen – noch dazu quasi steuerbefreit. Ich kann mich noch gut an Oettingers Rede in Offenburg erinnern, in der er von der Notwendigkeit sprach, dass man sich hier nur gesamteuropäisch dagegen formieren könne. Das war’s dann auch … wir schaffen es ja noch nicht einmal Kinder von der türkisch-griechischen Grenze in Sicherheit zu bringen.

Von dem Umstand einmal ganz abgesehen, dass genau in den Regionen, in denen beispielsweise die Anzeigenblatt-Zustellung besonders teuer ist, oft noch nicht einmal das Handy funktioniert, wenn Sie einen der Ausfahrer erreichen wollen. ,Viel Glück‘ Transformation, sag ich da bloß. Transformation in the middle of nowhere. Wir verfügen beispielsweise über einen digitalen Briefkasten da schauen die LeserInnen nur nicht so gerne rein. Die wollen die konkrete Zeitung auf Papier und das nicht erst seit das Toilettenpapier ab und an ausverkauft ist.

„Schon seit geraumer Zeit haben zunehmend die Excel-Fetischisten den Ton in vielen Häusern vorgegeben. So kann man nicht kochen, geschweige denn publizistisch tätig sein.“ Michael Simon

Was müssen Sie und Ihre Branchenkollegen im Bereich Anzeigenblätter ändern, um zukunftsfähig zu bleiben/werden?
Simon: Wenn Sie mich das vor zwei Wochen gefragt hätten, wäre mir so einiges dazu eingefallen – heute fallen mir angesichts der aktuellen Herausforderungen nur zwei Aspekte ein:
Erstens die augenblickliche Krise zu überstehen.
Zweitens endlich den politischen Entscheidern im wahrsten Sinne des Wortes nachhaltig zu vermitteln, dass wir – anders als Herr Merz das beurteilt und es wohl selbstgerecht gerne hätte – doch ein Stück weit eine gesellschaftspolitisch wichtige Aufgabe in einem Meer von FakeNews und Hate Speech erfüllen. In unserem Bemühen um wirklich wirksame, weil die Branche endlich ein wenig stabilisierende Subventionen, helfen weitere immer wieder aufs Neue geforderte sog. Gutachten keinen cm weiter. Die helfen so wirklich nur den Gutachtern.

Die Zeit drängt – und die Corona-Krise hat hier regelrecht katalysatorische Wirkung in Richtung Abgrund. Mumien sind nicht wiederzubeleben – auch mit dem modernsten Defibrillator nicht. Wir brauchen endlich ein echtes Bekenntnis zu unserer Gattung seitens der Politik, für unser publizistisches Engagement beispielsweise bzgl. Ehrenamt – nicht nur in Reden vor der BVDA-Mitgliederversammlung.

Herr Söder sollte auf dem Event sprechen: Was hätten Sie in Bezug auf die Unterstützung der Verlagsbranche und den politischen Rahmenbedingungen gerne von ihm gehört – und was nicht?
Simon: Mir würde ein klares Bekenntnis zu unserer Gattung völlig ausreichen – verbunden mit einer Zusage, als Bayerischer Ministerpräsident zeitnah in Berlin mit anzuschieben, damit der Subventionszug nicht immer wieder auf halber Strecke stehen bleibt – wenn er selbst mal wieder raus ist aus dem (Corona-)Krisenmodus. Außerdem wäre es schön, wenn uns die diversen Ministerien mal als Publikationsschiene entdecken würden. Da habe ich nämlich manchmal das Gefühl, dass an den diversen Entscheidern dort die Erkenntnis, dass die BILD nicht mehr über die enorme Auflage und Reichweite verfügt wie vor 20 Jahren, regelrecht vorbei gerauscht ist. Mensch, wir haben inzwischen Euro – die DM gibt‘s nur noch auf ganz alten Monopoly-Spielen.

Wie reagieren Sie auf die Probleme in der Zustellung durch die Coronavirus-Ausfälle und wie stellen Sie sich derzeit (neu) auf?
Simon: Wir versuchen trotz der aktuellen enormen Herausforderung(en) beide Ausgaben, die Wochenmitte- und die Wochenend-Ausgabe, am Leben zu erhalten, weil wir zu tiefst davon überzeugt sind, dass nach dieser Krise eine jetzt eingestellte Ausgabe nicht wieder hochzufahren ist. Augenblicklich sind ja die von Ihnen so bezeichneten „Coronavirus-Ausfälle“ bei uns ja nur Kunden-Stornos. Auch diese treffen uns dramatisch – aber hier geht‘s nur um Geld. Ausfälle unter unseren ZustellerInnen haben wir bis dato noch keine, rechnen aber natürlich damit.

Wir verzichten jedoch augenblicklich ausdrücklich auf unser Direktionsrecht. Wenn eine/r unserer ZustellerInnen zur Risikogruppe gehört, schlichtweg Angst hat oder aber die Eltern unserer jüngeren ZustellerInnen Bedenken haben, versuchen wir, diese Vakanzen anderweitig zu lösen. Bedingt durch viele krisenbedingte Freistellungen haben wir wieder deutlich mehr Bewerber und können hier in aller Regel zeitnah reagieren. Besonders wichtig erscheint in diesen Zeiten vor allem eine sehr, sehr intensive Kommunikation mit diesen unseren wichtigsten „Außendienst-MitarbeiterInnen“. Bedingt durch zwangsläufig weniger Auftragsbearbeitung ist aber auch diese möglich.

Gemäß des Mottos „Erst wenn‘s aus ist, ist‘s aus“ versuchen wir weiterhin, ganz einfach unsere Arbeit zu machen – in der Hoffnung, dass unsere LeserInnen (für ganz viele sind wir ja gerade jetzt noch wichtiger geworden) und Kunden das auch zu schätzen wissen.

Für alle Branchenkolleginnen und -Kollegen veröffentlicht HUP ab sofort das Interview-Magazin FIVE TALKS mit spannenden Interviewpartnern.
Unser Redaktionsteam stellt 5 Fragen an
5 Entscheider. Anlass sind aktuelle Themen, Messen und News aus der Medienbranche.

Anfang April hätte sich die Branche auf der – aufgrund des Coronavirus abgesagten –
BVDA Frühjahrstagung getroffen.

In FIVE TALKS #1 geht es daher um die Zukunft der Anzeigenblattverlage.

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